Über dem Gunzesrieder Tal

27. Mai 2022


DSC 4645Alljährlich wird ab Mitte Mai die Viehwirtschaft im Allgäu wiederbelebt, zwar ohne großes Spektakel aber nicht ohne große Auswirkungen auf unsere Auswahl der jeweiligen Wanderziele. Noch schnell einen Tag vor dem großen Ansturm in den Bergen verbringen wir deshalb nicht ohne entsprechende Kommentare seitens der Huftiere. Als wir uns, vollkommen still der ersten wiederbesiedelten Alphütte nähern scheint noch alles in Ordnung zu sein. Ganz friedliche liegt die große, grüne Fläche vor uns als wir aus dem Wald heraustreten. Dann jedoch entdeckt uns der erste der grasenden Jungbullen und vorbei ist es mit der Ruhe. Er schlägt laut muhend Alarm und scheint damit die ganze Gruppe anzustecken. Mit einem Mal ist die komplette Herde unterwegs zum Weidezaun und begleitet uns, mit zunehmenden Glockengeläut, immer weiter auf unserem Weg. Was wohl in deren Köpfen vorgeht und in den Köpfen der Zweibeiner die hier ihre Arbeit verrichten? Ich beruhige Aiyana und Banu mit der Erklärung dass uns ein Zaun vor allzu dichter Annäherung schützt und werde gleich darauf eines Besseren belehrt als ich erkennen dass wir ein kurzes Teilstück durch die Weidefläche zurücklegen müssen. Auch einer der jungen Wilden erkennt diese Umstand und gibt schnell noch etwas Gas – „die erwische ich“ deute ich seine Gedanken.


Geschafft haben wir es dann aber doch ohne Blessuren, wenn auch nicht ohne einen tüchtigen Schrecken auf Seiten der Wölfchen. Sie ziehen etwas eingeschüchtert schnell den nächsten Hügel hinauf, wohl immer in der Hoffnung das Kühe faul sind und tatsächlich nach kurzer Zeit lassen wir die Aufregung zurück, darauf hoffend dass wir die anfängliche Ruhe diese herrlich sonnigen Morgens erneut finden. Wir sind wieder einmal auf uns bisher unbekannten Wegen unterwegs und erkunden ein weiteres Nebental der Nagelfluhkette. Der recht große Parkplatz an der Gunzesrieder Säge war schnell gefunden und die südlich gelegene Hörnerkette hatten wir ja schon öfters, von Süden her, bewandert. Jetzt der Aufstieg von der Nordseite her welcher uns die steilen Aufstiege auf der gegenüberliegenden Flanke erspart.


Als das Rangiswanger Horn erklommen ist haben wir uns eine ausgedehnte, frühe Mittagspause verdient. Die beiden Fellnasen legen sich zu einem kurzen Schläfchen in die Wiese während ich erst einmal die umliegende Landschaft bestaune. Noch herrscht Ruhe hier oben, ein Zustand der im Laufe des Tages sicherlich nicht so bleiben wird. Eine kleine Gruppe hat es sich unterhalb des Gipfelkreuzes bereits gemütlich gemacht, was die Fellnasen aber nicht weiter beunruhigt. Berge bedeuten für meine beiden Begleiterinnen immer die große Freiheit und mit ausreichend Platz zum Ausweichen können sie jetzt die Augen schließen und sich ganz der uns umgebenden Natur anvertrauen. Da die Erfahrung zeigt dass es jederzeit zu „Störungen“ kommen kann bleibt mir dieser Genuss versagt und so wandert mein Blick im gut einsehbaren Umkreis umher, immer darauf gefasst etwas zu entdecken was unsere Zufriedenheit stören könnte. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.


Die höher gelegenen Weideflächen wirken zu Beginn der Alpsaison wie leer gefegt, aber in ein bis zwei Wochen werden auch hier wieder das Milchvieh Einzug halten. Erst nach dem Ende deren Ende, ab Oktober, werden wir uns dann wieder in diese Gegend wagen denn allzu große Aufregung wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Als der Wanderverkehr an unserem bisher ruhige Plätzchen zunimmt ist das wie ein Startschuss für uns. Aiyana und Banu werden unruhiger und müssen sich, ob der neugierigen Blicke vermehrt etwas zurück ziehen und auch in mir steigt die Unruhe auf. Also packe ich unsere Mitbringsel zusammen und marschiere mit den beiden Wölfchen weiter auf unserem Rundweg. Es geht jetzt wieder hinab ins Tal und wir sind erneut alleine unterwegs. Nur hier und da begegnen uns Ansässige oder Waldarbeiter, das ändert sich jedoch schlagartig auf dem letzten Teilstück unseres Weges.


Die Beschilderung führt uns nun, mit dem Hinweis „Nur auf eigene Gefahr zu begehen“, über einen schmalen Tobelweg. Und als touristischer Hotspot ist hier deutlich mehr Trubel als noch vor Kurzem. Oberhalb des derzeit nicht zu nutzenden Seilsteges erhalten wir immer wieder den Hinweis auf dessen Unbenutzbarkeit, unterhalb werden wir mehrere Male nach dessen Zustand befragt. An einem Übergang über den Bergbach ist das untere Stahlseil gerissen und so müssen wir durch das eisige Wasser waten, ein Umstand der Aiyana und Banu sichtlich weniger Probleme bereitet als mir. Zum Glück verläuft eine Kiesbank in kleinem Bogen nicht allzu tief unter der Wasseroberfläche und so erscheint das Durchqueren des klaren, rauschenden Gewässers nicht sonderlich problematisch. Zur Not müssten die Schuhe runter. Was bei der heutigen Witterung eine willkommene Abkühlung wäre würde bei gestiegenem Wasserpegel hingegen das Ende dieses Weges und somit einen deutlichen Umweg bedeuten.Direkt neben dem „Steg“ stürzt der Bach ein paar Meter steil hinunter und wer da mitgerissen wird kommt sicherlich nicht ohne Blessuren davon. So aber bewältigen wir schadlos auch dieses Hindernis und stehen alsbald wieder auf dem Parkplatz an dem wir vor ein paar Stunden gestartet sind, froh darüber ein letztes Mal in diesem Frühjahr hierher gekommen zu sein.

Alle Bilder dieses Tages sind in der Galerie zu finden.


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